Lothar Häberle

Vor einer „Kopftuch III“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nach der öffentlichen Schule nun in der Justiz – oder in beidem?

in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 2018, S. 1263-1268. Rezipiert in BVerfGE 153, 1-72: Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2020, 2 BvR 1333/17, Kopftuch III, Rn. 90.

Während der Staat in der öffentlichen Schule sich in einem gesellschaftlich pluralen Bereich bewegt, in dem ihm eine offene übergreifende Neutralität in Religionsfragen zu üben zukommt, begegnet der Staat dem Bürger im Justizwesen hoheitlich, unparteiisch und nur dem Gesetz verpflichtet; hier kommt ihm eine distanzierende strikte Neutralität zu. Nach Erörterung der „Kopftuch II“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2015 wird analysiert, wie im Fall einer Kopftuch tragenden Richterin bzw. Rechtsreferendarin eine Abwägung aussehen könnte: Dem Grundrecht der Richterin stellt sich mit Gewicht die (distanzierende) Neutralität zusammen mit der Selbstdarstellung des Staates entgegen – im schonenden Ausgleich beschränkt auf den Gerichtssaal, wo ohnehin Robe zu tragen vorgeschrieben ist. Aufgrund einiger wenig überzeugender Entscheidungstendenzen von EuGH und EGMR wird es als sinnvoll erachtet, wenn das BVerfG zur „Kopftuch III“-Entscheidung das Plenum anrufen würde, um so für eine verbindliche Lesart der rechtlichen Bewertung des Kopftuchs in öffentlicher Schule und Justiz zu sorgen und europarechtliche Mitprägemacht in dieser Materie zu gewinnen.