Lothar Häberle

Toleranz in islambezogenen Konflikten um Religions- und Meinungsfreiheit. Islamische Kopfbedeckungen in der Öffentlichkeit, Blasphemie durch Karikatur und Satire sowie der Wunsiedel-Beschluss des BVerfG

in: Lothar Häberle (Hrsg.), Islam – Meinungsfreiheit – Internet. Staatsrechtliche Aspekte der Religions-, Meinungs- und Medienfreiheit, Berlin 2020, S. 55-84

Der Toleranz-Begriff wird präzise zu fassen gesucht, ebenso sein Abwägungs-Charakter, seine Grenzen, die innere und äußere Phase eines Toleranz-Urteils. Bei islamischen Kopfbedeckungen in der Öffentlichkeit ist zu unterscheiden, ob sie in der öffentlichen Schule bzw. in der Universität getragen werden oder bei Gericht. Für seine rechtliche Einordnung spielt ebenso eine Rolle, ob Burka, Niqab oder Burkini getragen werden. Besondere, auch internationale Konflikte entstehen, wenn Karikatur oder Satire als Blasphemie wahrgenommen werden, wie das bei den in Dänemark entstandenen Mohammed-Karikaturen der Fall war. Zur staatsrechtlichen Einordnung wurde im Anschluss von Kunst- und Pressefreiheit vor allem die Meinungsfreiheit analysiert.

Die Ausflaggung konkreter Toleranz-Grenzen steht beim Wunsiedel-Beschluss des BVerfG von 2009 in Frage: Die vier Jahre zuvor vom Bundestag beschlossene Ergänzung des § 130 StGB um einen vierten Absatz stellt die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der historisch verifizierbaren NS-Gewaltherrschaft unter Strafe. Obwohl es sich um ein nicht-allgemeines Gesetz handelt, erklärt das BVerfG diese Ergänzung als mit Art. 5 GG vereinbar. Auch wenn dies nur die historisch verifizierbare NS-Gewaltherrschaft betrifft, stellt sich die Frage, ob und ggf. warum mehr als 60 Jahre nach Kriegsende die Toleranz-Grenzen offensichtlich enger gezogen sind gegenüber dem Vertrauen auf die freie geistige Auseinandersetzung als sonst.