Lothar Häberle

Internet-Konflikte zwischen Meinungsfreiheit und Recht auf persönliche Ehre. Anonymität im Netz, Hate Speech-Bekämpfung, Netzwerkdurchsetzungsgesetz und alternative Regulierungsansätze für das Internet

in: Lothar Häberle (Hrsg.), Islam – Meinungsfreiheit – Internet. Staatsrechtliche Aspekte der Religions-, Meinungs- und Medienfreiheit, Berlin 2020, S. 117-167

Es lassen sich zwei Phasen ausmachen der Wahrnehmung der Internet-Entwicklung: Einer eher euphorischen, in der stark die revolutionierenden Möglichkeiten betont wurden, folgte eine mit neuer Nachdenklichkeit über private Datenmacht, die Wirkung von Echo-Kammern sowie von Problemfeldern wie Hate Speech, Fake News, Darknet. Anonymität gilt als das grundlegende Spezifikum des Internets – wegen ihres ambivalenten Charakters benötigt sie verfassungsrechtlichen Schutz, aber auch klare Schranken. Weitere Spezifika des Internets sind u. a. entgrenzte Kommunikationsräume, die enge Verflechtung von User und informationstechnischem System, die Möglichkeit zum Erstellen von Persönlichkeitsprofilen neuartiger Tiefe und Breite auch durch „Big Data“.

Das zentrale Kapitel dieses Beitrags ist verfassungsrechtlichen Verortungen gewidmet: zuerst der digitalen Dimension von Art. 2 I GG mit dem Recht auf persönliche Ehre, dem auf „informationelle Selbstbestimmung“ und dem vom BVerfG 2008 formulierten „IT-Grundrecht“. In Art. 5 I GG wird die digitale Meinungs- und Medienfreiheit ausgeformt. Schutzpflichten des Staates sowie die Ausstrahlung der Grundrechte auf das Verhältnis zwischen Privaten im Zivilrecht („mittelbare Drittwirkung“) dient der Vorbereitung, um zur Lösung typischer Grundrechtskonflikte zwischen Privaten im Internet, vor allem dem zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und dem Schutz der persönlichen Ehre gelangen zu können. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2017 hatte viel Kritik erfahren, die hier jedoch in vorläufiger Bewertung nur begrenzt geteilt wird. Abschließend wird in vier Schritten ein Policy-Mix zum Abbau von Internet-Konflikten zwischen Privaten skizziert: u. a. mit rechtlichen Ansatzpunkten de lege lata, einem rechtlichen Aufriss de lege ferenda und nicht-rechtlichen Verbesserungsansätzen.